Unsere Lesetipps – Spätherbst 2023

Historisch, zart, witzig, selbstironisch oder in der wilden Welt der Elfen: unsere Novembertipps handeln alle von Familien- und Müttergeschichten!

Tipp von Lilian Reichmuth, Ausleihteam
«Eigentum» von Wolf Haas

Das Buch von Wolf Haas erzählt die Geschichte seiner Mutter Marianne Haas, die im Sterben liegt. Geboren 1923, beginnt Marianne in Innsbruck die Ausbildung zur Serviererin. Zwischen ihrem ersten und zweiten Ausbildungstag liegt der Zweite Weltkrieg. Auch will sie ein Eigenheim erwerben, das ersparte Geld wird jedoch immer wieder von der Inflation weggefressen. Deshalb besteht der Sohn kurz vor ihrem Tod auf einer Erdbestattung, damit seine Mutter endlich 1.7 Quadratmeter ihr Eigentum nennen kann.

Mir gefällt das Buch sehr, da es voll ironischer, träfer Sprachspiele ist, die sehr «österreichisch» gemütlich erzählt werden. Beim Lesen meint man die Mutter sprechen zu hören.
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Tipp von Heike Kuhn, Ausleihteam 
«Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe» von Doris Knecht

Doris Knecht schreibt in selbstironischem Ton, trocken und feinfühlig, über eine Frau am Wendepunkt: Nachdem sich die Ich-Erzählerin als alleinerziehende Mutter lange mehr Freiheit gewünscht hat, ist diese nun erschreckend nah. Die Kinder sind erwachsen und ziehen aus, die Familienwohnung ist plötzlich zu gross und zu teuer. Es ist Zeit auszumisten – in den Zimmern und im eigenen Leben. Zeit, Bilanz zu ziehen und sich an einen Neuanfang heranzutasten.

Egal, ob man diesen Lebensabschnitt als Frau noch vor oder schon hinter sich hat, oder ob man gerade mittendrin steckt: Dieses Buch berührt und lässt einen schmunzeln und nachdenken – für mich die perfekte Lektüre an einem regnerischen Herbstnachmittag.
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Tipp von Christine Burlet, Leitung Mediothek
«Maman» von Sylvie Schenk

In diesem zarten Roman spürt Sylvie Schenk den Leben ihrer Mutter und Grossmutter nach. Letztere lebte und starb unter ärmsten und erbarmungslosen Umständen; Umstände, die die Tochter «verdrängt, verschluckt und nie verdaut» hatte. Um sozial aufzusteigen, ging diese später eine lieblose Ehe mit einem Zahnarzt ein, blieb aber eine Fremde, Versehrte. Daher wohl auch die Gefühlskälte, die das Verhältnis zwischen Schenk und ihrer Mutter zeitlebens belastete. Dennoch hatte die Mutter fünf Kinder, zehn Enkel und neunzehn Urenkel. Liebevoll, aber mit der nötigen Distanz spürt Schenk diesem Frauenleben nach, füllt Leerstellen mit Recherchen und eigenen Gedanken und zeichnet so ein berührendes literarisches Portrait.
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Tipp von Christine Burlet, Leitung Mediothek
«Die Mütter» von Stefan Györke

Ebenfalls von Müttern handelt mein zweiter Buchtipp, hier aber eher in Dur statt in Moll. Leichtfüssig und unterhaltsam erzählt Stefan Györke die Geschichte dreier Schwestern, die in einem begüterten Stadtzürcher Haushalt in der Obhut einer chinesischen Nanny aufwachsen. Atscho stammt vom Volk der Mosuo, bei dem die Mütter das Sagen haben, die Väter nicht der Rede wert sind und die Schwestern immer zusammenbleiben. Und genau so werden es die drei Schwestern in Zukunft auch halten.  Aber aus den Schwestern werden Mütter und bald ist da Sohn Anton, aus dessen Perspektive sich das Prinzip naturgemäss etwas anders anfühlt. Als er aufbegehrt und die Wahrheit über Atschos jahrelangen Verbleib in der Schweiz ans Licht kommt, erhält die Familiengemeinschaft einen Riss.

Mit Seitenhieben auf aktuelle Befindlichkeiten und lokale politische Elemente sorgt das Buch für viele Schmunzler. Dass der Schluss etwas handzahm geraten ist, tut der Freude an dem Roman keinen Abbruch.
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Jugendbuch-Tipp von Aline Burlet, Nutzerin (12 Jahre)
Serie «Keeper of the Lost Cities» von Shannon Messenger

In dem Buch geht es um ein Mädchen, Sophie, das in der Menschenwelt aufwächst, dann aber herausfindet, dass es ein Elf ist. In den verlorenen Städten (Welt der Elfen und magischen Wesen) scheint alles perfekt. Je länger Sophie jedoch dort lebt, desto mehr stellt sie fest, dass es einige Haken gibt. Zum Beispiel werden Mehrlingsgeburten von Elfen verachtet. Ausserdem bemerkt Sophie, dass sie kein normaler Elf ist. Ihre ungewöhnlich starke Fähigkeit, Gedanken zu lesen, überrascht alle. Ausserdem gibt es da noch diese rebellische Organisation namens «Black Swan», die Sophie nicht aus dem Kopf geht. Sie beginnt nachzuforschen und gerät in eine gefährliche Sache hinein. Black Swan stellt ihr Nachrichten zu, schickt ihr verbotene Objekte und in ihrem Kopf befinden sich plötzlich streng geheime Informationen, von deren Existenz sie vorher nichts ahnte. Als Sophie schliesslich heimlich entführt wird und die ganze Welt sie für tot hält, wird definitiv klar, dass es kein Kinderspiel mehr ist.

Ich liebe die Serie, weil sie so packend und detailliert geschrieben ist. Während der folgenden Bände wird die Sache für Sophie und ihre Verbündeten immer verstrickter. Der Spannungsbogen steigt …
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Buchtipp von Urs Schütz, Nuzter
 «Garten der Engel» von David Hewson

Paolo Uccello, der sterbende Grossvater, erzählt seinem 15-jährigen Enkel Nico von seiner Jugend im von den Nazis besetzten Venedig. Er macht dies in Form von fünf Briefen, die Nico mit wachsender Betroffenheit liest. 1943: Paolo, damals 18 Jahre alt, hat gerade die Eltern verloren und ist nun Inhaber einer kriselnden Seidenweberei. Auf Drängen des katholischen Priesters Garzone erklärt er sich bereit, die beiden jungen, jüdischen Partisanen Giovanni und Micaela auf der Flucht vor der SS aufzunehmen. Im Gegenzug bittet Paolo sie um Hilfe bei der Fertigstellung eines Auftrags für einen wichtigen Kunden, der zu einer grossen Versammlung von Nazis anreist. Als Micaela erfährt, dass es sich bei dem Kunden um einen berüchtigten «Judenjäger» handelt, der für den Tod ihrer eigenen Eltern verantwortlich ist, nimmt sie Kontakt zu örtlichen Widerstandskämpfern auf und schliesst sich deren Mission an, die Versammlung anzugreifen. Paulo fühlt sich zum verletzten Giovanni hingezogen und will ihn schützen. Nachdem sein Grossvater gestorben ist, erhält Nico einen sechsten Brief, der dem Buch eine überraschende Wende gibt. 

Das Buch ist ein gekonnter Spagat zwischen spannender Action und anschaulicher Beschreibung der Lebensumstände im damals besetzten Venedig. Auch in Italien wurde die jüdische Bevölkerung verfolgt und deportiert und dieses Buch ist ein Beitrag, dass man dies nie vergessen soll. 
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